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Laudatio für Stephan König zum Sächsischen Mozartpreis 2024
Julia Hemmerling, 20.05.2024

Der diesjährige Preisträger des Sächsischen Mozartpreises ist ja dieses Mal auch ein sächsischer Mozartpreisträger, was mich besonders freut. Aufgewachsen ist Stephan König allerdings in Sachsen-Anhalt, um dann in Leipzig zu studieren. Aber fangen wir mal ganz vorne an: Mit einem Klavierhocker, der eine erste Hürde war zwischen einem Kind und der schon damaligen Berufung.

Wie hoch so ein Klavierhocker sein kann... für einen Dreijährigen... Und sitzt er erstmal drauf, befindet er sich in einer Situation, die alles andere als ergonomisch ist. Die 88 Tasten, die Stephan König aber vor sich fand, waren schlagartig seine neue Welt. Was macht ein Kind als erstes? Der erste Reflex des dreijährigen Stephan war es jedenfalls, zu improvisieren. Die Improvisation, der Kontakt mit dem inneren Strom, dem Fluss der inneren Musik: die Tür zu einem tiefen Leben mit der Musik.

Gerade im Klassikbetrieb ist es ein Geschenk, wenn jemand seiner Intuition bis ins Letzte vertraut. In einem Betrieb, in dem das Streben nach Perfektion und mitunter auch Werktreue so angesagt sind. Dass das nicht alles ist, hat die Sächsische Mozartgesellschaft schon lange erkannt. Vor ziemlich genau sieben Jahren waren sowohl Stephan König, als auch Franz Wagner-Streuber schonmal zusammen in der Villa Körner in Chemnitz. Der eine, um zu tun, wozu er seit Kindheit berufen ist, der andere, um Mozart wieder einmal neu zu betrachten und den König endlich mal wieder auf Datenträger zu pressen: Mozart in Jazz, ein geniales Album ist dabei entstanden. Es feiert die Liebe zu guter Musik und die Liebe zur Freiheit in der Musik, mit einem herzlichen Grinsen jedweden Traditionen gegenüber. Das Studieren der Traditionen: eine unentbehrliche Sache: Mozart, Wagner, Ravel, Mussorgsky, BACH, Duke Ellington, Dave Brubeck, Ornette Coleman..., sie merken, ich schweife ab… Also zurück: Strauß, Stravinsky, Brad Mehldau, Monk, Archie Shepp und heute sicher schon wichtig zu erwähnen Joachim Kühn. Wir können Musik nicht mehr in Epochen denken. Die Technik tut es ja auch nicht. Wir können alles gleichzeitig abrufen, streamen, in den elektronischen Fluss springen: Konzerte, Alben, Singles, Playlists. Wir haben es mit einem gewaltigen Strom zu tun, in den wir zu jeder Zeit an jedem Ort springen können. Aber dann gibt es Jazzer, die die Tradition verinnerlicht haben, nicht außerhalb in technischen Endgeräten und in Clouds geparkt, sondern im Inneren mit sich tragen. Es geht um Menschen, die diesen Weltstrom der Musik parat haben und ihn in ihrer Praxis auf mindestens zwei Arten heiligen: Komposition und Improvisation. Konstant, scheinbar leichtfüßig, scheinbar unabhängig von äußeren Zwängen, politischem Druck, Systemwechseln: Dem Zusammenbruch der DDR etwa. Für viele MusikerInnen ein Befreiungsschlag, für die Leipziger Jazzszene aber folgte eine Art Brain Drain. Paradoxer Weise: eine Zeit, in der König neue Flügel entwickelte. Nicht nur künstlerisch.

Er hat die Jazzszene in Leipzig, in Sachsen ganz wesentlich erhalten. Während der Markt von den vermeintlich cooleren Leuten aus dem Westen überflutet wurde, hat König vieles erhalten: Das LeipJAZZiG Orkester hat er in den 90ern aus der Wiege gehoben. Für 17 Jazzmusiker war das ein Strohhalm zum Festhalten in dem kargen Jahrzehnt nach der Wende. Für die Leipziger Jazzszene ein Juwel, ein Vorzeigekind – eine Combo, die nicht nur zeigte, dass hier was geht. Vor allem ein Orchester, dass in der täglichen Praxis die Geschichte von 17 ehemaligen DDR-Musikern fortführt. In einem Moment, in dem eine alte Welt geht und die neue Welt nix von einem wissen will, ist es nicht nur wichtig, Musiker weiter zu beschäftigen. Es ist auch wichtig, die vermeintlich alte Welt nicht wegzuwischen. Der Jazz in der DDR bildete einen Kommunikationsraum, den es so an keinem Ort sonst gab. Wie wichtig es war, hier anzuknüpfen und nicht wegzugehen, ist kaum zu ermessen.

Und damit nicht genug: Stephan König gründete die Initiative Leipziger Jazzmusiker und damit ein Netzwerk, eine Familie, die hervorragenden Musikern und Musikerinnen Halt gab und heute noch gibt.

Orga, Komposition, Inspiration, Netzwerkarbeit: Wie kann das alles zusammen gehen? Auf seine unprätentiöse, sympathische Art hält Stephan König bis heute diesen Laden zusammen und verliert gleichzeitig nie seinen genialen musikalischen Funken. Gleichzeitig die Szene zusammenbringen und auf den Bühnen zeigen, wo der Hammer hängt: Das ist nicht nur musikalischer Genius, das ist menschlicher Genius. Dieser 3-Jährige damals, der einst den Klavierhocker emporstieg, wusste, dass er hier zu Hause ist und hatte sich nicht geirrt. Also gehen wir zurück zur Musik:

Seine Handschrift ist gut erkennbar: Vom Sound her, harmonisch und rhythmisch wasserdicht, eben von höchster Qualität und mit Liebe zum Detail geschrieben und arrangiert. Ein Cabaret-Abend mit der Musik von John Cander im Zeichen eines Stephan Königs ist nicht hölzern, wie etwa die 20er Jahre, Kurt Weills Stilmittel. So ein Königs-Abend ist gut durchdacht, sorgsam arrangiert, ernst genommene Musik. Ein Bachoratorium, ein Wagner, ein Mozart in Jazz ist kein ostentatives Aufzeigen, dass man jetzt mal was ganz Verrücktes machen wollte. Nein, ein Stephan König Werk ist bei aller Verrücktheit eine runde Sache. Feinstes Handwerk, durchdachtes Arrangement, geniale Komposition – und wir bewegen uns innerhalb eines Stückes oft zwischen Arrangement, Neu-Komposition und Improvisation.

Die Improvisation: Etwas, was, wie wir heute wissen, König ein paar Mal das Leben gerettet hat. Was für eine Fähigkeit: Die Aufgabe des Selbst im Moment des Erschaffens, der Sprung in den Fluss. Es ist diese Fähigkeit, gehaltvolle Musik mehrerer Jahrhunderte durchgearbeitet zu haben, um dann mit ihr spielen zu können. Ich glaube, wenn ein Mozart improvisiert hat, hatte er noch nicht so eine Vielfalt studiert, wie ein Stephan König heut zu Tage. Oder ein Michael Wollny, oder ein Joachim Kühn.

Wenn man uns in 100 Jahren fragt: Was war denn eigentlich Eure Musik? Dann kann ich nur sagen: Wir hatten diese Genies, die alle Musik in sich hörten: Keine Verhaftungen an Epochen oder Stilistiken – Einfach die beste Musik für den jeweiligen Moment. Und was mehr kann eine Epoche von sich sagen als: Wir haben einfach die beste Musik gehört. Das ist Freiheit. Durch Menschen wie Stephan König, atmen wir alle den Jazz, der sich von allem frei machen kann – ohne Endgeräte wohl gemerkt.
Wer ihn hören will, muss einen Weg in Kauf nehmen und Teil eines Abends werden. Und glauben Sie mir, gegen das gemeinsame Springen in den Fluss ist Streaming nichts.

Und mit diesen Worten, lieber Stephan König, kann ich nur von Herzen danken, dass Sie Abend für Abend diesen Sprung mit uns wagen. Und ehrlich gesagt: auch, dass Sie hiergeblieben sind. Dass sie Leipzig, Sachsen und jedem Publikum ihr Talent spenden. Danke, dass es Sie gibt, ihren Mut, ihre Intuition, ihren Funken, ihr Gespür, ihr Handwerk und ihre Beharrlichkeit. Herzlichen Glückwunsch zum mehr als verdienten Sächsischen Mozartpreis.